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Alts Worte lassen Stützpunkt in Stuttgart erbeben
Alt: «In all diesen Jahren hat man meine Gesundheit gezielt aufs Spiel gesetzt»
Doch ihre Warnungen seien ignoriert worden. «In all diesen Jahren hat man meine Gesundheit gezielt aufs Spiel gesetzt», so Alt. Sie berichtet von Frakturen, mit denen sie dennoch in Wettkämpfen antreten musste, und beschreibt die Situation als «systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch». Essstörungen, Straftrainings, Demütigungen und der Einsatz von Schmerzmitteln gehörten laut Alt zur Tagesordnung.
Santos, Pfeil, Kröll und Petz: Die Liste der weiteren Statements ist lang
Ähnlich erschütternde Erfahrungen schildert Catalina Santos, die ihre aktive Karriere im Alter von nur 14 Jahren aufgrund von übermäßigem Druck und körperlichen Schäden beendete. Sie habe jahrelang unter einer Essstörung und psychischer Abhängigkeit von ihren Trainern gelitten. «Als Kind verstand ich nicht, wie viel nachhaltige Macht dieses System über meine Psyche und Entwicklung haben würde,» erklärt Santos. Ihre Geschichte offenbart, wie früh die Mechanismen des Systems greifen und Schäden hinterlassen können.
Amelie Pfeil und Carina Kröll teilten ebenfalls ihre Erlebnisse. Für Pfeil wurde die Turnhalle, einst ein Ort der Leidenschaft, zu einem Raum des Überlebenskampfes. Nach ihrem Wechsel von Stuttgart nach Karlsruhe habe sie erstmals erlebt, dass Turnen auch ohne ständigen Druck möglich sei. «Doch die Leidenschaft kehrte nicht zurück», gibt sie zu. Carina Kröll betont neben Kritik auch positive Entwicklungen. «Manche Dinge haben sich zum Positiven gewendet, und dafür bin ich dankbar», schreibt sie. Dennoch fordert sie weitergehende strukturelle Veränderungen, damit künftige Generationen in einem gesünderen Umfeld aufwachsen können.
Auch Emelie Petz, die als eine der größten deutschen Turnhoffnungen ihre Karriere ebenfalls vorzeitig an den Nagel gehängt hatte, meldete sich zu Wort. «Versteht mich nicht falsch, ich liebe den Sport und habe den Sport immer geliebt. Was viele aber nicht sehen, ist, was der Sport hinterlässt», erklärte sie. Sie habe bis heute nicht den Mut gehabt, manche Dinge zuzugeben. «Das sind Dinge, mit denen ich kämpfe und ich die letzten Jahre realisiert habe», sagte sie.
Die neuen Enthüllungen knüpfen an die Aussagen von Meolie Jauch an, die im Dezember als erste Stuttgarterin über ihre Entscheidung, den Leistungssport zu verlassen, sprach. Jauch hatte hervorgehoben, dass die mentalen Belastungen und der Druck von außen letztlich größer gewesen seien als ihre eigene Motivation. «Es war nicht mehr mein eigener Wille, der mich antrieb, sondern das Gefühl, für alle anderen zurückkommen zu müssen», hatte sie erklärte.
DTB und STB wollen Vorwürfe «sehr ernst» nehmen
Der DTB sieht sich nun gut vier Jahre nach der Chemnitzer Turnaffäre erneut vor einem Scherbenhaufen, wieder konfrontiert mit Forderungen nach Aufklärung und Reformen. Dass erneut Turnerinnen ihre Stimme erhoben haben, verdeutlicht, dass es nicht nur um Einzelfälle geht, sondern offenbar um tiefgreifende strukturelle Probleme. Athletinnen appellieren zum zweiten Mal in kurzer Zeit an Verbände und Verantwortliche, zuzuhören und zu handeln, um den Schutz junger Talente zu gewährleisten und den Leistungssport in eine nachhaltige und menschliche Richtung zu lenken.
DTB und der Schwäbische Turnerbund (STB) reagierten auf die Vorwürfe mit einer gemeinsamen Stellungnahme. Sie betonten, die öffentliche Debatte und die geäußerten Vorwürfe sehr ernstzunehmen. «In diesem Zusammenhang liegen DTB und STB konkrete Informationen zu möglichem Fehlverhalten von Seiten verantwortlicher Trainer am Bundesstützpunkt in Stuttgart vor», heißt es in der Mitteilung. Beide Verbände kündigten an, eine umfassende Untersuchung zu starten, die unter externer Leitung durchgeführt werde. Diese solle nicht nur potenzielles Fehlverhalten von Trainerinnen und Trainern beleuchten, sondern auch strukturelle Fehler im Leistungssportsystem analysieren. Ziel sei es, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um derartige Vorkommnisse in Zukunft zu verhindern.
Die Diskussion, die Meolie Jauch mit ihrem Rücktritt angestoßen hat, hat in den vergangenen Tagen weiter an Fahrt gewonnen. Sie wirft ein Schlaglicht auf die Kehrseite des Leistungssports und erinnert daran, dass die Gesundheit und das Wohlbefinden der Athletinnen oberste Priorität haben müssen. «Es geht um junge Menschen, um ihre Gesundheit und darum, dass ihre Karrieren nicht enden, bevor sie überhaupt angefangen haben», mahnte Tabea Alt. Ihre Forderung nach Veränderung ist laut. Und sie wird diesmal wohl nicht mehr verstummen.