OLYMPIA 2024 | PARIS
Biles & Stripes in Bercy: Paris bejubelt eine Ikone

Die letzte Übung von Simone Biles im Mannschaftsfinale von Paris war eine gefühlte Ehrenrunde. Nur ein kleines bisschen davon entsprang der Schauspielerei, das meiste war wohl einfach nur bewegende Turngeschichte. Kurz vor 20.30 Uhr trat die gesamte amerikanische «Begleit»-Mannschaft zur Seite und überließ den Boden ihrer One-Woman-Show. Und die hätte den Akt nicht besser inszenieren können. Die 27 Jahre alte Ausnahmeturnerin aus Ohio trat im letzten der vier Durchgänge als Letzte der drei amerikanischen Athletinnen an diesem Gerät an. Und in diesem Moment schien es tatsächlich so, als richte die ganze Welt gebannt ihren Fokus auf diese eine, unglaubliche Turnerin und hielte dabei den Atem an.

Ließ sich im Palais Omnisport in Paris von Teamgefährten und Publikum feiern: Simone Biles.

Biles Mannschaft lag da schon so weit vorne, dass die nur 142 cm große Athletin sich auch mit ein bisschen Tanzen und ein paar Rollen vorwärts hätte begnügen können. Die Goldmedaille wäre dann wohl noch immer an die USA gegangen, die mit Los Angeles 2028 auch der nächste Ausrichter der Spiele sind. Biles aber packte stattdessen sogar noch ein wenig Schwierigkeit obendrauf. Und bescherte dem Publikum so die beste Bodenübung (14,666/D:6,8) des Abends. Für die im Palais Omnisport stark vertretenen amerikanischen Turnfans war das alles die pure Glückseligkeit. Balsam für die geschundene Seele, nach all den schrecklichen Skandalen und sportlichen Rückschlägen, die der Turnsport dort hatte wegstecken müssen. «USA! USA! USA», hallten die begeisterten Sprechchöre durch die Arena.

Biles, die neben der amerikanischen auch die Staatsbürgerschaft des zentralamerikanischen Karibikstaats Belize besitzt, schien diese Zuneigung förmlich aufzusaugen. Denn ihre Geschichte ist zum einen eine Geschichte ihres Heimatlands USA. Sie ist aber auch eine ganz persönliche, überaus menschliche Geschichte. Eine Geschichte, die Biles selbst auf der Weltbühne entfaltet hat und die trotz der immensen psychologischen Herausforderung gedieh, die sie in Tokio hatte so öffentlich entgleisen lassen. Unzählige Menschen feierten daher in Paris und vor den Bildschirmen an diesem Abend die Goldmedaille der Amerikanerin, selbst wenn sie sich gar nicht mit den Stars und Stripes identifizierten.

Die Spuren von Tokio: Simone Biles sucht mitten im Wettkampf Momente der inneren Einkehr.
Momente des Triumphs

Genau zwei Schlüsselmomente gab es in diesem geschichtsträchtigen Team-Finale der Frauen. Der eine war die Show, die Biles am Ende ablieferte, als sie sicher sein konnte, diese ersehnte Goldmedaille mit nach Hause zu nehmen. Das war der Moment des Triumphs des großen amerikanischen Traums. Ihren ganz persönlichen Triumph erlebte sie aber bereits zu einem viel früheren Zeitpunkt in diesem Wettkampf. Nämlich am Sprung - dem letzten Verbindungsglied zu den langsam verblassenden Erinnerungen an Tokio. An genau diesem Gerät hatte sie sich damals vor drei Jahren ihren Problemen geschlagen gegeben und beschlossen, sich sofort aus dem Wettbewerb zurückzuziehen.

Als sie nun in Paris am Anfang des Anlaufs stand, lief vermutlich genau dieser alte Film vor ihrem inneren Auge ab. Biles Antwort darauf war die zweithöchste Sprungwertung (14,900/D:5,6) des Abends. «Ich war wie: 'Woo!'», sagte sie hinterher mit einem Lachen in die Mikrofone der Berichterstatter. Ein Lachen, das Biles allerdings für gewöhnlich selbst dann an den Tag legt, wenn sie über ihre größten Ängste spricht.

Hat in Paris ihren Weg zurück zum Spaß mit Turnen und dem amerikanischen Team gefunden: Simone Biles.
«Halleluja! Keine Flashbacks!»

Die Wichtigkeit dieses speziellen Moments war auch ihren Teamkolleginnen nicht entgangen. Drei von ihnen hatten damals in Tokio bereits mit ihr in einer Mannschaft gestanden. Als Jordan Chiles ihre Freundin Simone am Anfang des Anlaufs beobachtete, dachte auch sie an Tokio zurück. Und dann, als Biles ihren Sprung tatsächlich bewältigte, sprang sie auf und ab wie ein außer Kontrolle geratener Gummiball. «Ich dachte: 'Ja! Halleluja! Keine Flashbacks!», jubelte die Teamgefährtin. Ihr Auf- und Abspringen sei pure Erleichterung gewesen, verriet die 23-Jährige aus Oregon später. «Sie ist die Größte aller Großen. Und wir werden wieder da rausgehen und wir werden wieder wir sein», sagte sie.

«Wir sein». In der Tat sah Paris im amerikanischen Team wieder nach sehr viel Spaß aus. Und das wiederum ist ein weiterer Triumph für Biles, deren Fähigkeit es ist, wie ein Übermensch aufzutreten. Und die dennoch, wie ihre zahlreichen Fans inzwischen wissen, unter den menschlichsten Ängsten und Schwächen leidet. Mit dem Team-Gold hat sie nun gemeinsam mit der Mannschaft genau die Medaille gewonnen, die ihnen allen vor drei Jahren verwehrt blieb. Jetzt, wo dieser Berg erklommen wurde, könnten die weiteren Olympische Spiele von Paris Biles ganz persönliches Olympia werden. Das Gold mit der Mannschaft war nur der schwere Anfang. Vier weitere Chancen auf dem Weg zur Legende kann sie nun noch nutzen.

Woran sie in Tokio noch beinahe zerbrach, vollendete sie in Paris: Simone Biles gewann die Goldmedaille mit der Mannschaft.
Italien und Brasilien sichern sich Medaillen, Großbritannien turnt auf und scheitert doch

Das eigentliche Wettkampfdrama geriet bei so viel Hintergrundgeschichte beinahe aus dem Blickfeld. Dass es am Dienstag mindestens eines mittleren bis großen Wunders bedurfte, auch nur annähernd an die Amerikanerinnen heranzukommen, war auch den Italienerinnen sehr bald klar. Der beste Indikator dafür war die Lautstärke der amerikanischen Fans in der Arena, die im Laufe des Abends immer mehr zunahm. Doch Angela Andreoli, Alice D’Amato, Manila Esposito, Elisa Iorio und Giorgia Villa ließen sich nicht beirren und lieferten mit der Silbermedaille die beste Platzierung ab, die Italiens Turnerinnen in der Geschichte Olympias jemals erreicht haben. Nach einem eher bescheiden Auftakt am Sprung, legte die Squadra am Stufenbarren richtig los. Iorio (14,266/D:6,3) und D'Amato (14,633/D:6,3) brachten dort zwei brillante Übungen ein. Bezeichnend für den hervorragenden Zustand des italienischen Turnens ist dabei, dass es am Ende ausgerechnet das jüngste Teammitglied Andreoli war, das Italiens zweite Medaille mit einer reifen und sicheren Leistung am Boden (13,833/D:5,9) sicherstellte.

«Wir haben alles getan, was wir tun mussten, um diese Medaille um den Hals zu haben. Ich konnte es fast nicht glauben. Alles ging mir durch den Kopf. Es war ein großartiges Gefühl, dass nur eine Mannschaft vor uns lag und wir uns direkt hinter den USA eingeordnet haben, weil wir am Ende Brasilien besiegt haben. Ich habe versucht, während der gesamten Zeremonie nicht zu weinen, was mir auch gelungen ist», sagte D'Amato. Sie sei sehr glücklich und stolz auf diese Mannschaft.

Brasilien dagegen hatte schon vor Beginn des Wettkampfs mit einer Herausforderung zu kämpfen. Beim Aufwärmen am Stufenbarren stürzte Flavia Saraiva und zog sich eine blutende Wunde über dem rechten Auge zu, die ihre Teilnahme kurzzeitig sogar in Frage stellte. Doch die 24-Jährige legte sich einen Verband an, überwand einige der Schwierigkeiten bei ihrer Bodenübung und trat zum Wettkampf an. Saraivas Teilnahme könnte am Ende tatsächlich den Unterschied ausgemacht haben. Denn Brasiliens erste olympische Medaille war eine knappe Angelegenheit. Nach der Hälfte des Wettkampfs lag die Gute-Laune-Truppe aus Südamerika noch auf dem sechsten Platz. Lange stand es nicht gut um Brasiliens Olympiatraum. Doch Saraiva, Rebeca Andrade, Jade Barbosa, Lorrane Oliveira und Julia Soares beendeten ihre Übungen an Boden und Sprung mit Bravour.

Während die Chinesinnen sich als Konkurrent immer weiter verabschiedeten, trieb ein anderer Player den Brasilianerinnen die Sorgenfalten ins Gesicht. Das britische Team, das als siebter der Qualifikation nicht mehr viele auf dem Zettel gehabt hatten, schaffte es mit viel Mut und Herz, sich plötzlich wieder ins Zentrum des Wettkampfgeschehens zu drängen. Und nach zwei der vier Durchgänge wurde auch den Brasilianerinnen klar, dass die Britinnen auf dem Weg zu etwas wesentlich Besserem unterwegs waren.

Der große britische Auftritt des Abends fand dann am Stufenbarren statt. Rebecca Downie war dort die letzte Starterin und wusste auch, dass das Team unbedingt eine hohe Punktzahl brauchte. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf und der möglichen Bronzemedaille im Visier erhöhte die 32-Jährige den Schwierigkeitsgrad ihrer Übung am vorletzten Gerät – und turnte sie fehlerfrei. Ihre 14,933 Punkte war die höchste des ganzen Abends, die überragende Biles auf amerikanischer Seite eingeschlossen.

Was die Britinnen am Ende dennoch scheitern ließ, war die Tatsache, dass Brasilien mit Rebeca Andrade genau die Athletin in ihren Reihen hatte, die Biles im Mehrkampffinale am Donnerstag wohl als Einzige das Gold streitig machen könnte. Und Andrade lieferte in der Manier eines Champions: Sie zeigte den besten Sprung des Abends. Und schob mit ihrem Ergebnis das britische Team zurück auf den undankbaren auf den vierten Platz, dem am Ende winzige 0,034 Punkte zur Medaille fehlten. Stattdessen gesellte sich zum ersten Mal in der Olympiageschichte Brasilien zu den jubelnden Teams auf dem Siegerpodest.

Event Olympiasieger Silbermedaille Bronzemedaille
Team USA Italien Brasilien
Mehrkampf Simone Biles Rebeca Andrade Sunisa Lee
Sprung Simone Biles Rebeca Andrade Jade Carey
Stufenbarren Kaylia Nemour Qiu Qiyuan Sunisa Lee
Schwebebalken Alice D'Amato Zhou Yaqin Manila Esposito
Boden Rebeca Andrade Simone Biles Ana Bărbosu
Event Olympiasieger Silbermedaille Bronzemedaille
Team Japan China USA
Mehrkampf Shinnosuke Oka Zhang Boheng Xiao Ruoteng
Boden Carlos Adriel Yulo Artem Dolgopyat Jake Jarman
Pauschenpferd Rhys McClenaghan Nariman Kurbanov Stephen Nedoroscik
Ringe Liu Yang Zou Jingyuan Eleftherios Petrounias
Sprung Carlos Adriel Yulo Artur Davtyan Harry Hepworth
Barren Zou Jingyuan Illia Kovtun Oka Shinnosuke
Reck Oka Shinnosuke Angel Barajas Zhang Boheng
Land Turner Club Liga
Armenien Artur Davtyan
Vahagn Davtyan
KTV Obere Lahn
KTV Straubenhardt
2. Bundesliga Nord
1. Bundesliga
Belgien Noah Kuavita Exquisa Oberbayern 2. Bundesliga Süd
Kanada Felix Dolci KTV Straubenhardt 1. Bundesliga
Spanien Nestor Abad
Thierno Diallo
Nicolao Mir
Joel Plata
Rayderlay Zapata
TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau
TuS Vinnhorst
TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau
KTV Straubenhardt
TuS Vinnhorst
1. Bundesliga
1. Bundesliga
1. Bundesliga
1. Bundesliga
1. Bundesliga
Großbritannien Joe Fraser

Ruby Evans
TG Saar II

MTV Stuttgart
3. Bundesliga Süd

1. Bundesliga
Italien Yumin Abbadini
Lorenzo Casali
Mario Macchiati
StTV Singen
StTV Singen
TSG Grünstadt
1. Bundesliga
1. Bundesliga
2. Bundesliga Nord
Kasachstan Milad Karimi TV Schwäbisch Gmünd-Wetzgau 1. Bundesliga
Schweiz Luca Giubellini
Matteo Giubellini
MTV Ludwigsburg
MTV Ludwigsburg
2. Bundesliga Nord
2. Bundesliga Nord
Türkei Arican Ferhat
Adem Asil
Ahmet Önder
TSV Pfuhl
TSV Pfuhl
TuS Vinnhorst
1. Bundesliga
1. Bundesliga
1. Bundesliga
Ukraine Illia Kovtun
Petro Pakhniuk
Oleksander Petrenko
Igor Radivilov
Vladyslav Rozkhov
Nikita Sirosh
Radomyr Stelmakh
Mykola Syniukhin
Oleg Verniaiev
KTV Straubenhardt
Siegerländer KV
TSV Buttenwiesen
SC Cottbus
TuS Vinnhorst II
TSG Backnang
SC Cottbus
TG Saar II
TG Saar
1. Bundesliga
2. Bundesliga Nord
2. Bundesliga Süd
1. Bundesliga
3. Bundesliga Nord
3. Bundesliga Süd
1. Bundesliga
2. Bundesliga Nord
1. Bundesliga
So geht's weiter bei Olympia in Paris

 

Mittwoch, 31. Juli

Mehrkampfinale | Männer (17:30 Uhr) 

Donnerstag, 1. August

Mehrkampfinale | Frauen (18:15 Uhr) 

Samstag, 3. August

Finale Boden | Männer (15:30 Uhr)
Finale Sprung | Frauen (16:20 Uhr)
Finale Pauschenpferd | Männer (17:15 Uhr)

Sonntag, 4. August

Finale Ringe | Männer (15:00 Uhr)
Finale Stufenbarren | Frauen (15:40 Uhr)
Finale Sprung | Männer (16:20 Uhr)  

Montag, 5. August

Finale Barren | Männer (11:45 Uhr) 
Finale Schwebebalken | Frauen (12:35 Uhr)
Finale Reck | Männer (13:35 Uhr)
Finale Boden | Frauen (14:25 Uhr)

30. Juli 2024
Nils B. Bohl

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