TURN-WM 2023 | ANTWERPEN
Biles sammelt in Antwerpen weiter Superlativen
In dem von der alles überragenden US-Amerikanerin Simone Biles dominierten Mehrkampf führten einzelne Fehler der beiden Deutschen dazu, dass es in dem hochklassigen Starterfeld der besten 24 Athletinnen auch nicht für einen Platz im Mittelfeld reichte. Am Ende kam Schäfer-Betz nach ihren vier Geräten als 22. auf 49,932 Punkte, Voss als 24. auf 50,799 Zähler. Biles dagegen siegte wie erwartet überlegen mit 58,399 Punkten.
«Es ist natürlich nicht das Wunschergebnis und ich wäre lieber ohne Fehler durch den Wettkampf gekommen, aber für viel mehr hätte es in dem Feld ohnehin nicht reichen können. Ich blicke nun konzentriert auf Sonntag», erklärte Schäfer-Betz, die dann am Balken noch im Einzelfinale turnen wird.
Die Rheinländerin Voss hatte bei ihrem Wettkampf am Boden mit 13,333 Punkten erneut einen guten Auftakt. Pauline Schäfer-Betz musste direkt an ihrem Spezialgerät Balken ran, mit 13,566 Punkten lag sie jedoch um gute drei Zehntel unter der aus der Qualifikation. Mit 13,400 Punkten am Sprung sorgte Voss für eine weitere gute Wertung. Direkt nebenan stürzte jedoch ihre Teamkollegin Schäfer-Betz am Boden nach dem Doppelsalto vorwärts bäuchlings von der Fläche. Glücklicherweise verletzte sich die gebürtige Saarländerin dabei nicht. Nach lediglich 10,700 Punkten zerplatzte allerdings auch ihre Hoffnung auf eine bessere Platzierung. Das Pech ereilte kurze Zeit später dann auch Voss, die am Stufenbarren gleich zweimal Probleme hatte und absteigen musste.
Beinahe wie ein Schweizer Uhrwerk
Beinahe wie ein schweizer Uhrwerk arbeitete dagegen Superstar Simone Biles. Die US-Amerikanerin krönte ihre atemberaubende Rückkehr zum Turnen mit dem sechsten Weltmeistertitel im Mehrkampf. Titelverteidigerin Rebeca Andrade aus Brasilien wurde Zweite, Biles‘ Teamkollegin Shilese Jones belegte Rang drei.
Für Biles schloss sich im Antwerpener Sportpaleis der Kreis, denn in dieser Arena hatte fast auf den Tag genau vor 10 Jahren das damals noch relativ unbekannte und unerfahrene US-Girl überraschend ihren ersten Weltmeistertitel im Mehrkampf gewonnen. Und das alles 26 Monate nachdem Biles für weltweite Schlagzeilen gesorgt hatte, als sie sich von den meisten Finale der Olympischen Spiele 2020 in Tokio zurückzog, um ihre körperliche und mentale Gesundheit zu schützen, weil sie im Training und im Wettkampf mit ihren «Twisties» zu kämpfen hatte.
Mit sechs Weltmeistertiteln im Mehrkampf zog Biles nun mit dem Japaner Kohei Uchimura gleich, der zwischen 2009 und 2015 sechs Titel in Folge gewann. Als einzige Frau, die jemals mehr als drei Titel in Folge gewonnen hat, liefert die US-Amerikanerin auch sonst eine atemberaubendes Zahlenwerk des Erfolgs: 34 Welt- und Olympiamedaillen gewann sie in der letzten Dekade, keine Turnerin in der Geschichte kommt auch nur annähernd an diese Superlative heran.
«Die Goldmedaille bedeutet alles», sagte Biles. «Sie steht für Stärke, Mut, Kampf und Hartnäckigkeit. Es war ein so langer Weg, um hierher zurückzukommen. Sich dabei wohl zu fühlen und zuversichtlich zu sein, wieder antreten zu können», erklärte sie. Ein Jahrzehnt, zwei Olympiaden und 34 Weltmeisterschafts- und Olympiamedaillen später hat sich im Leben der 26-Jährigen viel verändert. Aber am Freitag war ihr Turnen so, wie es immer war: groß, beständig und umwerfend.
Am Sprung zeigte sie einen soliden Cheng (Rondat mit halber Drehung, Salto vorwärts gestreckt mit anderthalb Schrauben) für 15,100. Am Stufenbarren turnte sie stabil und erhielt 14,333 Punkte. Am Schwebebalken improvisierte sie nach einem Verbindungsabbruch. Den Rest der Übung turnte sie mit 14,433. Sie beendete ihren Abend am Boden. Obwohl sie gegen Ende ihrer Übung stolperte und kurzzeitig ihren Rhythmus verlor, waren ihre vier Akrobahnen so phänomenal wie immer. 14,533 Punkte brachten ihr den Gesamtsieg mit 58,399 Punkten.
«Leave it to me!», lachte Biles hinterher. «Außerhalb der Halle bin ich eigentlich so ungeschickt, aber in der Halle passiert das normalerweise nicht, deshalb bin ich ein bisschen schockiert, dass das passiert ist», verriet sie.
Brasilianerin Andrade war nah dran - aber nicht nah genug
Mit etwas mehr als eineinhalb Punkten Rückstand folgte Andrade, die im vergangenen Jahr als erste brasilianische Mehrkampf-Weltmeisterin Geschichte schrieb. Die 23-Jährige begann mit ihrem eigenen Cheng am Sprung, den sie mit 14,700 Punkten sicher auf die Matte brachte. Am Stufenbarren verpatzte Andrade eine riskante Verbindung, holte aber dennoch 14,500 und lag zur Halbzeit des Wettkampfs weniger als 0,233 Punkte hinter Biles. Ein paar kleine Wackler am Schwebebalken sorgten dafür, dass Biles ihren Vorsprung ausbauen konnte, den zweiten Platz aber hielt Andrade mit 13,500 solide.
Am Boden zeigte sie ihre neue Übung, die Beyonce und brasilianische Musik kombiniert, und landete vier solide Akrobahnen für 14,600, die zweithöchste Wertung an diesem Gerät. Sie beendete den Wettkampf mit 56,766 Punkten und Silber. Sie ist erst die zweite brasilianische Turnerin, die eine Weltmeisterschaftsmedaille im Mehrkampf gewonnen hat, und nun die einzige Turnerin aus ihrem Land, die zwei Medaillen gewonnen hat. «Ich bin wirklich glücklich, wieder auf dem Podium zu stehen, Seite an Seite mit so unglaublichen Athleten», sagte Andrade, die in diesem Jahr nur wenige Wettkämpfe bestritten hat. Worauf ist sie am meisten stolz? «Dass ich bis zum Ende durchgehalten habe. Heute ist mein vierter Tag an vier Geräten, und das ist sehr schwierig», sagte sie mit einem Lächeln.
Die Bronzemedaillengewinnerin Jones holte ihre zweite WM-Medaille. Nach einem komplizierten Jahr, in dem eine Schulterverletzung ihre Saison zu ruinieren drohte, zeigte sie wieder die weithin gefeierte Beständigkeit und Eleganz, die ihr Turnen auszeichnet. Am Freitag begann sie mit einem hohen, doppelt gedrehten Yurchenko am Sprung und zeigte auch ausgefeilte Übungen am Stufenbarren und Schwebebalken. Ihr einziges Manko war die Bodenübung, bei der sie nach einer vollen Drehung fast zum Stillstand kam. Obwohl sie fast keinen Schwung mehr hatte, gelang es ihr, das Element mit dem geplanten Rückwärts Doppelsalto gehockt zu verbinden. «Es war nicht das erste Mal, dass ich das gemacht habe», gab Jones zu. Rundum zufrieden war sie am Ende mit ihrer Medaille dennoch.