Lisa Worthmann - das ganze Interview

Lisa, am Donnerstag hat die European Gymnastics öffentlich gemacht, dass die verschobenen Europameisterschaften im Kunstturnen der Männer UND der Frauen aus dem April nun beide im Dezember in Baku (Aserbaidschan) stattfinden sollen. Wie erleichtert bist Du über diese Nachricht?

Ich bin sehr erleichtert. Für uns ist das die wichtigste Veranstaltung im Jahr, auch was die Präsenz in der Öffentlichkeit angeht. Es wäre sehr schade, wenn sie ausgefällt. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass ein Wettkampf für die Athleten, die ja jetzt wieder trainieren, als Ziel am Ende des Jahres eine gute Sache ist. Auch hätte für die European Gymnastics eine Absage finanzielle Folgen gehabt, da Sponsorenverträge und Medienrechte an diesen Veranstaltungen hängen. Daher wären wir sehr froh, wenn wir das vermeiden können.

Warum ist die European Gymnastics mit dem Termin noch in den Dezember gegangen, bis knapp hin an Weihnachten? Wäre nicht das neue Jahr eine (coronatechnisch) sicherere Option gewesen?

Es wäre sicher coronatechnisch eine sicherere Option gewesen, mit den Europameisterschaften erst ins nächste Jahr zu gehen. Allerdings sind es jährliche Veranstaltungen und die EM vom 21. bis 25. April in Basel folgt schon bald. Daher war es am Ende keine Option, die EM ins Jahr 2021 zu schieben. Mit anderen Veranstaltungen, zum Beispiel den Europameisterschaften im Trampolin und im TeamGym, haben wir aber die Option genutzt, ins neue Jahr zu gehen.

Paris war für viele Turnerinnen ein langersehnter Wunsch-Austragungsort. Gab es keine Option für eine Austragung dort? Und gibt es Signale, dass Paris sich in naher Zukunft wieder auf eine EM bewerben will?

Auch wir von European Gymnastics sind davon überzeugt, das Paris ein toller Austragungsort für die Europameisterschaften im Turnen der Frauen gewesen wäre. Die Accor Arena ist sehr gut geeignet, um Turnen zu präsentieren. Und wir wissen, dass in Frankreich immer ein tolles und vor allem ein großes Publikum vor Ort ist. Aber die Accor Arena war leider bis Ende des Jahres ausgebucht und daher in diesem Jahr keine Option mehr. Wir sind daher froh, dass wir in Baku einen sehr guten Ausrichter für die EM Ende des Jahres gefunden haben. Der französische Turnverband, der sehr viel Arbeit und Geld in die EM 2020 investiert hat, möchte natürlich auch bald wieder eine Veranstaltung ausrichten. Konkrete Pläne gibt es allerdings noch nicht, denn unsere Veranstaltungen sind vergeben bis einschließlich 2023. Und auch national braucht der Verband jetzt natürlich eine Weile, um die nötigen Genehmigungen für die erneute Ausrichtung der Veranstaltung zu erhalten.

Baku hat sich ja spätestens seit der Premiere der European Games als hochkompetenter Ausrichter erwiesen. Habt ihr den Eindruck, dass Aserbaidschan im Umgang mit eventuellen COVID-19-Beschränkungen ebenso professionell agieren wird? Hat European Gymnastics mit dem Ausrichter ein Hygienekonzept erstellt, vergleichbar vielleicht mit der Fußball-Bundesliga in Deutschland?

Wir sind davon überzeugt, dass Baku, das ja sehr erfahren ist mit der Ausrichtung von Großveranstaltungen, diese auch in dieser sehr schwierigen Situation sehr gut ausrichten kann. Darüber sind wir sehr froh. In der Tat hat European Gymnastics die Entscheidung gefällt, dass auch ein entsprechendes Konzept für die Corona-Situation erstellt werden muss. Dieses wird von uns in den nächsten Wochen mit den Organisationskomitees erstellt, die wiederum in Kontakt stehen mit ihren nationalen Gesundheitsbehörden. Es ist der Plan, dieses erst kurz vor der Veranstaltung zu veröffentlichen. Wir haben organisatorische Richtlinien, die sechs Wochen vor der Veranstaltung veröffentlicht werden. Das wird dann zusammen mit diesen passieren, da es im Moment schwierig ist, einzuschätzen, wie die Situation Ende des Jahres sein wird.

Es könnte im Herbst die zweite Corona-Welle anrollen. Hat sich European Gymnastics eine Deadline für eine finale Entscheidung für ein GO oder NO-GO gesetzt?

Dass eine zweite Corona-Welle passieren kann, ist uns natürlich bewusst. Eine konkrete Deadline haben wir uns aber nicht gesetzt. Dies wird dann mit den Organisationskomitees entschieden. Aber sicher werden wir drei Monate vor den Veranstaltungen im September noch einmal einen ganz konkreten Blick auf die Situation werfen.

Was würde passieren, wenn während der Wettkämpfe bei einem Turner, Trainer oder Funktionäre das Virus diagnostiziert würde? Gibt es ein solches Szenario oder entscheiden das die Behörden vor Ort?

Die Gesundheit aller Beteiligten ist für uns das Wichtigste. Von daher geht es erst einmal darum, noch vor den Veranstaltungen die Lage genau zu beobachten. Sollte uns das Ansteckungsrisiko zu hoch erscheinen, werden wir noch vor den Veranstaltungen reagieren müssen. Natürlich wird es in den Konzepten auch ein Kapitel geben, was zu tun ist, wenn es während der Veranstaltung Ansteckungsfälle gibt. Diese müssen wir natürlich mit den nationalen Gesundheitsbehörden der Ausrichterländer erstellen.

Gibt es schon Informationen, ob Zuschauer zu den Wettkämpfen zugelassen werden dürfen? Oder zahlenmäßige Obergrenzen in der Wettkampfstätte?

Die Frage hat sich natürlich auch uns gestellt. Sie wird im Moment mit den Organisationskomitees diskutiert, die natürlich mit ihren nationalen Behörden im Kontakt stehen. Es ist natürlich nur schwer einzuschätzen, wie die Lage am Ende des Jahres sein wird. Aber uns ist bewusst, dass die Frage nach dem Publikum eine Frage ist, die wir schon bald beantworten müssen. Insofern wird das in den nächsten Wochen diskutiert werden.

European Gymnastics hat ja im Vorfeld viel mit den Nationen kommuniziert, gab es auch Länder, die die EM lieber abgesagt hätten oder angekündigt haben, nicht teilzunehmen?

European Gymnastics hat Ende April einen Fragebogen an die nationalen Verbände verschickt, um zu hören, wie die Lage überall aussieht. Die große Masse hat Interesse an Wettkämpfen Ende des Jahres, weil auch viele Ende Mai und Juni wieder mit dem Trainingsbetrieb beginnen und natürlich ein Ziel mit einem Wettkampf Ende des Jahres wieder vor Augen haben. Es waren nur rund fünf Prozent, die der Meinung waren, man sollte die EM in diesem Jahr ganz absagen.

Die nächsten Turn-Europameisterschaften finden ja in 2021 in Basel (Schweiz) und 2022 in München statt. Stehen auch schon Termine für weitere Jahre? Mit welchen coolen Reisezielen können wir rechnen?

In der Tat sind die Europameisterschaften im Turnen bereits bis 2023 vergeben. Nach Basel und München sind wir dann vom 19. bis 23. April im schönen Antalya in der Türkei.

Die EM der RSG findet schon im November statt. War das dem Kalender geschuldet oder brauchen Gymnastinnen weniger Vorbereitung als Turner?

Die Entscheidung für eine RSG-EM Ende November erfolgte vor allem aus praktischen Gründen, da die Ausrichterstadt Kiew in dieser Woche die Halle zur Verfügung hat. Wir haben allerdings auch in den Fragebögen, die wir verschickt haben gesehen, dass in der Tat eine Mehrheit der Verbände für eine Ausrichtung im November war.

Wie sieht es in der Ukraine mit Beschränkungen aus. Stehen auch dort schon entsprechende Konzepte parat?

Der ausrichtende Verband der RSG-EM in der Ukraine hat uns kürzlich darüber informiert, dass sie im Moment mit ihrem Gesundheitsministerium an entsprechenden Konzepten arbeiten. Dieses wird uns bald zugestellt und dann noch vom Staff, von den Authorities, die für die Ausrichtung der EM zuständig sind sowie der medizinischen Kommission überarbeitet, so dass wir dann ein Dokument zur Veröffentlichung haben.

Du hast lange das German Masters der RSG in Berlin mitorganisiert, bist also seit langem in diesem Thema. Die rhythmische Sportgymnastik hat sich entschlossen, in der Deutschen Turnliga einen Bundesligabetrieb aufzunehmen. Siehst Du das Potenzial, dass Bundesliga-RSG eine zukunftsträchtige Sportart sein könnte und sogar mit dem Bundesliga-Turnen irgendwann gleichziehen kann?

Die RSG in der Deutschen Turnliga dabei zu haben, ist meiner Meinung nach eine sehr gute Entscheidung. RSG ist eine sehr beliebte Sportart, die auch sehr schön anzusehen ist und dementsprechend beim Publikum immer sehr gut ankommt. Ob sie da mit den Turnern gleichziehen kann oder nicht, das kann ich nur sehr schwer einschätzen. Ich glaube aber, dass es sehr gut ist, die Sportart in eine Bundesliga aufzunehmen, denn wir haben ja in diesen Sportarten immer das Problem, dass wir außerhalb von Olympia zu wenig Präsenz in der Öffentlichkeit haben. Ligawettkämpfe sind da natürlich das Ideale, um dem entgegenzuwirken und die RSG regelmäßig in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

08. Juni 2020
Von Michelle Sitko

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