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Zwischen Pflicht und Freiheit: Stuttgart vor dem Saisonstart

Wenn am Wochenende der Startschuss für die neue Saison der Deutschen Turnliga der Frauen fällt, richtet sich der Blick wie selbstverständlich auf den MTV Stuttgart. Kein Verein hat die Liga in den vergangenen Jahren so geprägt wie das Team aus Schwaben. Dreizehn Meistertitel in ununterbrochener Folge stehen seit 2012 zu Buche – eine Dominanz, die in der Geschichte des deutschen Turnsports ihresgleichen sucht. Trotz des Bebens, das die Vorwürfe vieler ehemaliger Turnerinnen über die Trainingsmethoden im Kunstturnforum in den vergangenen Monaten in der Öffentlichkeit ausgelöst haben, bleibt man im Lager des Serienmeisters betont nüchtern. Dem Fokus, der in der neuen Saison mit Sicherheit auf die Schwaben gerichtet sein wird, setzt man auf eine Philosophie der Lockerheit entgegen.

Nicht Titelverteidigung um jeden Preis, sondern die Entwicklung junger Athletinnen steht in diesem Jahr im Vordergrund. Teammanager Alexander Otto bringt die Haltung des Vereins auf eine schlichte Formel: «Wir sind geehrt, als Favorit gesehen zu werden, aber wir verfolgen in dieser Saison keine ambitionierten Ziele.» Vielmehr gelte es, den Nachwuchs an das hohe Niveau der Bundesliga heranzuführen – ohne Leistungsdruck, dafür mit Begeisterung. Dass Stuttgart in der Vorbereitung nicht immer ideale Bedingungen vorfand, tut dieser Ausrichtung keinen Abbruch. Die jungen Turnerinnen sollen Erfahrungen sammeln, Neues wagen, und sich dabei auf ein stabiles Umfeld verlassen können. Denn die erfahrenen Teammitglieder agieren nicht nur an den Geräten, sondern auch als Mentorinnen – als Vorbilder, die das Prinzip des gemeinsamen Wachsens im Leistungssport verkörpern.

Wettbewerb auf Augenhöhe

Die vergangene Saison zeigte, dass auch eine Serienmeisterschaft kein Selbstläufer ist. Stuttgart musste sich in den ersten beiden Begegnungen geschlagen geben – jeweils auf Rang zwei hinter dem aufstrebenden TSV Tittmoning-Chemnitz. Beobachter witterten bereits einen Wechsel an der Spitze. Doch der MTV fand eindrucksvoll zurück: Mit entschlossenen Auftritten in Herbolzheim und Esslingen wurde der Rückstand aufgeholt. Engpässe im Kader, bedingt durch Verletzungen und internationale Verpflichtungen, hatten zu Beginn ihre Spuren hinterlassen. Entscheidend sei aber – so Otto – die Geschlossenheit im Team gewesen. Man habe sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, sondern das große Ganze im Blick behalten.

Beim abschließenden DTL-Finale setzte Stuttgart ein Ausrufezeichen: Trotz krankheitsbedingter Ausfälle überzeugte die Mannschaft mit geschlossener Leistung und sicherte sich den Meistertitel ein weiteres Mal. Was wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag, war das Resultat intensiver Aufbauarbeit und eines tief verankerten Teamgeistes. Der Siegeswille, so berichten Beteiligte, sei bei jeder Turnerin spürbar gewesen. Dennoch hält der Verein auch für die neue Saison an seiner zurückhaltenden Haltung fest. Es gebe keinen numerisch definierten Anspruch, kein Muss. Stattdessen wolle man die Bundesliga als Bühne nutzen, neue Elemente erproben und dem Nachwuchs Raum geben – ein Luxus, den man sich durch jahrelange Erfolge erarbeitet hat.

Ungewissheit als Strategie

Welche Athletinnen beim Saisonauftakt in Mannheim für Stuttgart tatsächlich antreten werden, bleibt zunächst unklar – eine bewusste Entscheidung. Fest steht nur, dass anstelle von Guti und Robert Mai sowie Giacomo Camiciotti es Marta Boldori und Elena Dolgopolova sein werden, die das Team an der Seitenlinie betreuen. Der MTV, bei aller Zurückhaltung, bleibt dennoch das Flaggschiff der Liga. Anders jedoch als in Jahren, in denen das Ziel allein auf den Titel gerichtet war, geht der MTV diesmal mit einem Maß an Offenheit in die Saison, das Spielraum für Entwicklung und Überraschung lässt. Die Konkurrenz mag nähergerückt sein – doch die Turnerinnen aus Stuttgart sind und bleiben die prägende Kraft im deutschen Turnsport. Der Auftakt in Mannheim allerdings könnte bereits erste Hinweise liefern, wie stabil dieses Selbstverständnis in der Gegenwart verankert ist.

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von Nils B. Bohl

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